Kalendertürchen Nr.10 für Dich:
Wie der Maulwurf Weihnachten feiert
Unter Beobachtung
Es waren einige Tage vergangen. Der erste Schnee war gefallen und alles war in eine kalte, weiße Pulverschicht gehüllt. Bei jedem Windhauch wirbelte etwas vom Schnee auf. Es war unglaublich leise, denn der Schnee dämpfte jedes Geräusch und die Amseln hatten keine Lust mehr zu schimpfen. Längst trugen sie ihre leuchtend bunten Schals, was zu dem dunklen Gefieder besonders hübsch aussieht. Einige hatten auch passende Mützen dazu auf. Ein fröhlicher Anblick, trotz der Kälte.
Ich war in den Garten gegangen um die gefiederten Freunde wie jeden Tag mit einigen Körnern, Flocken, Nüssen und Samen zu versorgen. Wie immer hatten die Vögel ein heilloses Chaos angerichtet. Jeder wollte in den Futtermischungen seine Lieblingskörner finden und auf der Suche danach flog alles andere aus den Schüsseln. Ich fegte das Chaos zusammen und warf die restlichen Körner auf den Schnee im Beet. Dort konnten sie noch anderen Bewohnern des Gartens als Futterquelle dienen. Die Schüsseln tauschte ich gegen saubere aus und füllte sie zur Hälfte. Erdnussbröckchen in die eine, Fettfutter in die andere, gemischte Körner in die dritte Schüssel. Ich freute mich schon auf das Spektakel, welches entstehen würde, sobald ich einige Meter von dem Vogelhaus entfernt wäre. Ich fegte ein Stück der alten Gartenbank frei und setzte mich.
Als erstes kamen – wie sollte es auch anders sein – die Meisen. Sie lieben Körner und Sämereien und für Sie war es ein tägliches Festmahl. Zwischendurch ließen sich die scheuen Spatzen blicken, Amseln, Tauben, Rotkehlchen und sogar der Specht- alle kamen vorbei, um sich an der gedeckten Tafel zu bedienen. Ein fröhliches, friedliches und abwechselungsreiches Treiben. Langsam kroch die Kälte in meine Kleidung, es wurde Zeit, zurück ins Haus zu gehen. Dort wartete ein prasselndes Kaminfeuer, ein gutes Buch und eine warme Wolldecke auf mich. Kurz dachte ich an Franz. Ob es ihm wohl gut geht, da irgendwo unter der Erde? Wurde es ihm nicht kalt unter dem Schnee? Ich beugte mich über den Hügel, an dem ich ihn vor ein paar Tagen abgesetzt hatte. Nichts zu sehen. PATSCH! – da traf mich etwas an der Stirn. Und PATSCH! – schon wieder, dieses mal direkt neben der Nase… ein leises, aber kräftiges Lachen ertönte. Franz hatte auf den Moment gewartet um mich mit winzigen Schneebällen abzuwerfen. Er konnte zwar nichts sehen, aber meinen dunklen Schatten über seinem Bau, den konnte er erkennen. Und Maulwürfe sind mit ihren kräftigen Pranken ganz hervorragende Schneeballbauer.
„Ich habe mit meinen Freunden gesprochen und dich in den letzten Tagen genau beobachtet. Ich habe Erkundigungen über dich eingeholt. Du scheinst – dafür, dass du ein Mensch bist, gar nicht so übel zu sein. 42 3 36 hat berichtet, dass du kein Wildkraut vergiftest, so dass wir unsere Käfer, Würmer und Engerlinge mit gutem Gewissen verspeisen können. und 27 4 86 hat berichtet, dass du nie Müll aus dem Autofenster wirfst. 13 4 20 hat dich gesehen, wie Du einem kranken Igel geholfen hast, zu überwintern.“ – Ich war erstaunt. „Die wohnen alle hier in unserem kleinen Garten?“ – Franz konnte es nicht fassen: „Nein, selbstverständlich nicht! Das Gelände wäre doch viel zu klein und selbst ich muss noch bei den Nachbarn weitergraben. Ihr habt ja wirklich von nichts eine Ahnung!“ Und mit einem Kopfschütteln ergänzte er: 42 3 36 wohnt 27 Grabelängen Nordnordost, 27 4 86 fünfzehn Grabelängen auf 12 Uhr und 13 4 20 wohnt ganz woanders, noch viel weiter weg.“ Ich kam mir dumm und unwissend vor. Trotzdem konnte ich mir nicht verkneifen, zu fragen: „Woher weißt du das dann alles? Wie tauscht ihr Euch aus? Du kannst sie unmöglich alle besucht haben.“ Franz seufzte. Er fragte sich wohl, ob seine Geduld groß genug sein würde, um mir Menschen alles zu erklären und ob die Fragen jemals enden würden. Worauf hatte er sich da eingelassen. Nach einigen Minuten tiefer Seufzer, Kopf hin- und her wiegen und nachdenklicher Miene entschied sich Franz für einen Erklärungsversuch.
„Du weißt, was Schachtelhalm ist?“ Ha, nun konnte ich Punkten! Klar, Schachtelhalm kennt man! Ein wucherndes Gewächs, Mill-iii-oooonen von Jahren alt, was man früher zum Zinn putzen benutzte und deshalb auch Zinnkraut genannt wird. Andere sagen auch ‚Kattensteerte‘ (Plattdeutsch für Katzenschwänze) dazu, weil es aussieht, wie der gerade hochgereckte Schwanz einer Katze, die sich erschrocken hat. Überall im Garten wächst Schachtelhalm. Ich hielt einen ausführlichen Vortrag über Schachtelhalme: Sumpf, Garten- und Ackerschachtelhalme. Franz folgte meinen Ausführungen nickend. „Was du nicht weißt: Schachtelhalm hat ein unendlich riesiges Wurzelwerk. Oben, das was Du siehst, ist nur die Antenne. Unterirdisch ist das Gewächs ungleich größer. Es geht Metertief in die Erde. Eigentlich wollte ich dir ein wenig davon zeigen, aber jetzt haben wir uns verquatscht und die Zeit reicht nicht mehr. Aber ich verspreche dir jetzt, dass du erfährst, wie wir Maulwürfe Weihnachten feiern und was das mit dem Schachtelhalm zu tun hat. Wir sehen uns wieder, in ein paar Tagen. Bis bald!“
Franz verschwand und ließ mich ratlos zurück. Antenne? Was meint er nur damit? Ich war verwirrt. Als ob er es geahnt hätte, kehrte Franz noch einmal zurück: „Ich muss noch etwas besorgen und hole dich am 16., sobald das Frühkonzert der Flatterhaften beendet ist, hier an meinem Eingang ab. Sei pünktlich, damit wir genug Zeit haben. Und besorg dir eine Taschenlampe, ihr Menschen riecht ja nicht so präzise und hören könnt ihr auch nicht gut. Also, bis morgen!“ Und Franz verschwand erneut.