Kalendertürchen Nr.16 für Dich:
Wie der Maulwurf Weihnachten feiert
– Die Schrumpfung –
Es war kalt, ich war viel zu früh da und nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen. Heute war der Tag, an dem Franz mir erzählen wollte, wie Maulwürfe Weihnachten feiern. Inzwischen hatte ich mir längst hundert verschiedene Varianten überlegt und wieder verworfen – und ich musste zugeben – ich wußte gar nichts von dieser mir verborgenen Welt unter der Grasnarbe.
Ich ging auf und ab, hin und her , blieb stehen, bückte mich um den Maulwurfshügel anzustarren und begann das Spiel von vorn. Auf, ab, hin, her. Schließlich gab ich auf und setzte mich wieder auf meinen bekannten Platz auf der alten Bank. Es dauerte noch eine Weile, und dann kam mit gehöriger Verspätung endlich Franz. „Das wurde aber auch Zeit“ grinste er. „Ich dachte schon, Du beruhigst Dich nie. Mit deinem hin- und her- Getrappel machst Du mir ja die Würmer scheu… “ Er war die ganze Zeit schon da gewesen und hatte mich bewußt warten lassen.
Franz begann, mit den Armen zu rotieren, sich zu recken und zu strecken und ein komplettes Aufwärmprogramm für Frühsport hinzulegen. Ich war enttäuscht. Versuchte er, die Antwort zu verzögern um dann wieder unvermittelt abzutauchen in den Untergrund? Franz muss es mir angesehen haben, was ich dachte und fühlte, denn sein Grinsen wurde noch breiter. Dann sagte er: „Setz Dich mal hier herunter zu mir auf die Erde. Du bist mir zu weit oben auf Deiner Bank.“ Ich setzte mich auf die kalte, feuchte Erde. „Bist Du bereit für ein Abenteuer? Hast Du Mut? Übernimmst Du Verantwortung für Dich selbst und gelobst, Dich ruhig, friedlich und besonnen zu verhalten, niemanden zu verletzen oder zu beleidigen, jedwedem Lebewesen mit Respekt zu begegnen und alles zu tun, um den Lebensraum, den Du jetzt kennenlernen wirst zu schützen und zu erhalten? Bist Du bereit, dein Bewußtsein zu entwickeln und danach zu handeln? Kurz: Willst Du Wissen, Erkenntnis und eine neue Perspektive annehmen?“
Was für eine Ansprache! Ich wollte doch nur wissen, wie Maulwürfe Weihnachten feiern. „Nun?“ Franz wurde ungeduldig, aber ich wollte mich nicht drängen lassen. „Moment bitte. Das klingt nach viel Verantwortung, da werde ich mir mit der Beanwortung doch wohl angemessen Zeit lassen können. Es scheint ja um etwas Wichtiges zu gehen.“ Franz nickte. „Du hast Recht. Die Entscheidung will wohl überlegt sein. Aber überlege nicht zu lange, sonst wird die Zeit zu knapp.“ – Die Zeit zu knapp? Wofür? Es war früh morgens und es ging nur um eine Geschichte… ach würde dieser Maulwurf doch nicht ständig in Rätseln sprechen! „Ja, ich bin einverstanden“ sagte ich schließlich. „Fein“ sagte Franz. „Dann war meine Arbeit ja nicht umsonst. Ich habe einige Nächte durchgegraben, um eine für Dich passende Menge Grundsalz zu besorgen. Hier ein Korn und da ein Korn – es war sehr mühsam. Wie Du weißt, bestehen Menschen zum großen Teil aus Wasser. Ich werde Dich gleich mit Grundsalz bewerfen, das wird Dir das Wasser entziehen und speichern. Du wirst schrumpfen und so klein werden, dass Du in deinem eigenen Schuh schlafen kannst. Bereit?“ – noch bevor ich irgendetwas sagen konnte, hatte Franz mit einem kräftigen Wurf seiner riesen Pranken das Salz in hohem Bogen über mich geworfen. Um mich herum entstand blitzschnell ein klarer Pudding, erst bis zum Knie, dann bis zur Hüfte, bis zu den Ohren… ich versank völlig in dem Pudding… Hilfe, ich bekam keine Luft mehr… !!! Franz…!
Eine riesige Pranke holte mich vorsichtig aus klaren, glibberigen Masse. Es war Franz, aber Franz war riesig und furchteinflößend. Seine Krallen waren lang wie Säbel! Mein Herz konnte sich nicht entscheiden, ob es wie wild klopfen oder doch lieber einfach stehen bleiben sollte vor Schreck. Ich holte tief Luft… ich hatte Panik und wollte flüchten, aber ich wußte nicht wohin. Ich schaute wild um mich… „Hmmm…“ sagte Franz in der mir vertrauten ruhigen Stimme „Bitteschön. Hier ist schon Deine erste neue Erfahrung. Du erlebst, was es bedeutet, sehr klein zu sein und Du erlebst, was es bedeutet, vertrauen zu müssen.“
Mein Herz hatte sich für das Klopfen entschieden, weil stehen bleiben einfach ungünstig ist. Mit Franzens Worten wurde auch das Klopfen ruhiger und die erste Panik verschwand langsam. Franz saß einfach ruhig da und wartete. Er ließ mir Zeit. Zeit um mich zu beruhigen und meine verquirlten Gedanken zu sortieren. Noch etwas zittrig auf den Beinen versuchte ich, mit der neuen Situation klar zu kommen. „Du warst Dir Deiner mächtigen Position gar nicht so bewußt, oder?“ sagte Franz „Erst jetzt, wo Du es anders erlebst, fällt es Dir auf. Für Tiere ist es schwer, Menschen zu vertrauen. Und für die ganz kleinen schon mal sowieso. Aber nun musst Du mal mir vertrauen, was bleibt Dir auch anderes übrig.“ Franz lachte. “ Und jetzt sei willkommen in meiner Welt. Lass uns gehen, sonst erfährst Du nichts vom Weihnachten der Maulwürfe. Bleib dicht bei mir. Hier fahren zwar keine Autos, aber auch hier gibt es Gefahren.“ Und Franz verschwand in seinem Maulwurfshügel, der mir jetzt schon eher wie ein Berg vorkam.
In was für eine Situation hatte ich mich da gebracht? Ich könnte zuhause warm und sicher bei Kirschwurzeltee und Weihnachtsplätzchen sitzen! Statt dessen kämpfte ich mich einen Erdhügel hoch um im Anschluß in ein dunkles Loch hinabzusteigen. Ich musste verrückt sein! – Andererseits: Hatte ich je jemandem von einem solch grandiosen Abenteuer erzählen hören? Ich hatte die Chance, etwas ganz Außergewöhnliches zu erleben! Der Gedanke beflügelte mich und die Angst wurde von Vorfreude verdrängt. „Komm endlich!“ tönte es aus dem Gang. Also hinein in die Dunkelheit!
Kattensterte…